Auf der Manufakturenstraße finden sich überwiegend „Praktiker“: Manufakteure, Kunsthandwerker, Designer, die selbst Serien herstellen und vertreiben. Eines verbindet alle: Sie sind gestaltend tätig und alle greifen mit ihrer Gestaltung in die Lebenswelten ein. Von daher lohnt sich ab und zu ein Ausflug in die höhere, theoretische Ebene, um zu verstehen, was man da eigentlich tut.
Design beinhaltet immer schon aus sich heraus den Anstoß zur Theorie. Theorien wiederum sind regelmäßig Faktoren in einem dynamischen Feld der poetisch-praktischen Setzungen und Gegensetzungen, die einen Widerstreit von Objekten, Auffassungen, Szenarien ermöglichen. Design-Entwerfen ist also auch implizite Theoretisierung der Gestaltungsprozesse. Was kontrovers bleibt, muss stets neu artikuliert werden. Das Exemplarische situiert sich in der jeweiligen Zeit, aber die Folge der Präsenzen geht nicht auf in einem Drehbuch linearer Fortschritte.
Die beiden Bände von Design/Theorie, herausgegeben von Hans Ulrich Reck, bieten Texte zur kulturgeschichtlichen, soziologischen, ästhetischen und theoretischen Begründung von Design – von den Kontroversen um Moderne vs. Postmoderne der 1980er-Jahre bis zu den medialen Ausweitungen und Neusituierungen der Kulturkämpfe in der Gegenwart. Design/Theorie vereint Analysen und Streitschriften aus nahezu vier Jahrzehnten. Die Beispiele reichen von Objekt-Design, Mode und Körper über Grafik, visuelle Kommunikation bis hin zu Architektur, Industriedesign und Urbanistik.
Einführend entwirft Reck eine Kurzgeschichte institutioneller Gestaltung und Gestalterausbildung. So erzwang die Auffassung vom neuen, autonomen Künstler seit dem 16. Jahrhundert eine Absetzung vom bisherigen Handwerk. Akademien und später polytechnische Schulen sind für Professionalisierung besorgt, die Industrialisierung fordert ein Weiteres. Besonders im 19. Jahrhundert kommen wichtige Dimensionen, wie Modernisierung, Mechanisierung, ein eigentlicher Technologieschub in mancherlei Hinsicht hinzu. All das spielt sich in einer zunehmend globalen Verstädterung ab und das 20. Jahrhundert erlebt weitere Internationalisierungsschübe und eine Mediatisierung. Die in der klassischen Moderne nahezu geschichtsphilosophisch akzentuierten Erwartungen an Funktion, Stil, gute Form und gelingendes Design ändern sich im Laufe der Zeit, das Selbstverständnis der Gestalter und Designer wandelt sich.
Im Spiegel der einzelnen Beiträge lässt sich nicht nur die Entwicklung bestimmter, für die Theorien des Designs relevanter Denkfiguren nachvollziehen, sondern auch durch Wiederaufgreifen und Weiterentwickeln das Erkenntnispotenzial vermeintlich bereits tradierter Positionierungen und Argumentationen beobachten, die sich dann einer unvermuteten Aktualität überweisen, meint Sandra Groll. Hans Ulrich Reck gewährt hier einen Einblick in die eigene Auseinandersetzung mit Design und Gestaltung. Andererseits ermöglicht er außerdem das Beobachten der Meilensteine und Umschlagspunkte der größeren, designbetreffenden Diskurse sowie einen Ausblick auf ein Evolutionsgeschehen, das sich im Bereich Design praktisch vollzieht.
Design/Theorie – Essays 1992-2020
Band 1 und 2
Hans Ulrich Reck
Birkhäuser
ISBN: 9783035625226
792 Seiten, Hardcover, gebunden
Erschienen 2022
158 Euro
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Titelfoto von: Meisterrat Berlin-Brandenburg e.V.