Oh, ein Spezialthema, aber passend zu unserer Route „Görlitz“: Schönbach, Landkreis Görlitz, Oberlausitz: idyllische Landschaften, stille Hügel, „schöne Buchen am Bach“. Dass es entlang der deutschen Grenze zu Polen und Tschechien Europas größtes Flächendenkmal zu entdecken gilt, ist bisweilen noch ein kleines Geheimnis. Über 19.000 sogenannte Umgebindehäuser zählen die drei Länder zusammen, was diese Typologie der Volksbauweise zu einem echten Wahrzeichen macht. Dabei formt jedes Bauwerk ein Unikat, kein Haus gleicht dem anderen. Ebenso individuell sind auch die Raumaufteilungen. Gebaut aus einheimischen Hölzern wie Fichte, Kiefer und in seltenen Fällen Eiche, beruht die statische Konstruktion zwar immer auf demselben Prinzip, der Rest allerdings ist Handarbeit. Allein in der Oberlausitz finden sich überdies rund 36 denkmalgeschützte Umgebinde, die sogar von der Unesco als Weltkulturerbe gelistet sind.
Auch das Faktorenhaus Schönbach ist so ein denkmalgeschütztes Umgebindehaus. Wie es den Architekten Silvia Schellenberg-Thaut und Sebastian Thaut gelungen ist, dieses über 200 Jahre alte Wohn- und Geschäftshaus so umzuwandeln, dass Gegenwart und Zukunft zwischen den Wänden der Vergangenheit Platz finden, davon wird in diesem Buch erzählt. Schwarz-weiß Fotografien des desolaten Bestandsbauwerks in Kombination mit feinen, klassischen Linienzeichnungen zeigen die sensible Umbaukonzeption der Architekten.
Mit Bestehendem zu arbeiten, anstatt Neues zu schaffen, das wird erst langsam als nebengeordnetes Betätigungsfeld in das Curriculum der Architekturfakultäten aufgenommen. Dabei finden Schellenberg-Thaut und Thaut, dass nichts mehr Kraft hat als die Substanz des Bestehenden. Sie arbeiten daher in historischen Gebäuden: ob in einem Fabrikloft, in einer Villa oder in einem gut proportionierten Gründerzeithaus, die Aura des Vorhandenen scheint sie zu beflügeln.
Um Altes zu neuem Leben zu erwecken, gibt es kein Patentrezept, aber schier unerschöpfliche Möglichkeiten. Für das in diesem Buch vorgestellte Faktorenhaus galten enge denkmalpflegerische Vorgaben. Wie so oft bilden jedoch gerade Einschränkungen den fruchtbaren Nährboden für eine tatsächlich kreative Auseinandersetzung. Einerseits ging es um die sensible Wiederherstellung des 250 Jahre alten Bestands und andererseits um einen radikalen Aufbruch ins Jetzt.
Der Berliner Fotograf Robert Rieger fängt in atmosphärischen Farbfotografien den fertig gestellten Zustand nach dem Umbau ein und die Journalistin Jeanette Kunsmann erläutert in ihrem Essay über die Baugeschichte und den Sanierungsprozess dieses besonderen Gebäudes, wie Denkmalschutz, Zeitgeist und regionale Spezifik zueinander finden.
Faktorenhaus Schönbach
Sebastian Thaut und Silvia Schellenberg-Thaut (Hg.)
Steidl Verlag
ISBN: 978-3-96999-090-2
104 Seiten, fester Einband
Erschienen Juli 2022
28,00 Euro
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Titelfoto von: Meisterrat Berlin-Brandenburg e.V.