DMS im Gespräch mit Ursula Wagner.
Ursula, Du bist Textil-Designerin und lehrst als Assistant Professor an der Rhode Island School of Design in den USA. Womit beschäftigst Du Dich? Wie können wir uns Deine Arbeit vorstellen?
Ich lehre im Fachgebiet Textiles und führe parallel dazu meine künstlerische Arbeit fort. Das Kernthema meiner Arbeit ist die Gestaltung von dreidimensionalen, textilen Strukturen und Objekten, die sich selbst formen. Industrielles Weben ist die Technologie, mit der ich vorwiegend arbeite. Dementsprechend programmiere ich die Gewebebindungen (die Logik der Struktur) für die Webmaschine und entwickle sowohl deren Code als auch die Material-Kombination der Garne in einem iterativen Formfindungs-Prozess. Die Konstruktion der spezifischen, mehrlagigen Struktur und die Verwendung aktiver Garne, wie z.B. Bananenfaser, Kupferdraht und stark überdrehtes Wollgarn bewirken Synergien, die aus der Fläche räumliche Objekte entstehen lassen. Dabei habe ich immer die ästhetischen Faktoren im Blick, auf die ich hinarbeite: Leichtigkeit und Formbarkeit des Stoffes und dessen Wandelbarkeit in verschiedenen Lichtverhältnissen.
Wo liegen die Einsatzgebiete?
Von Anfang an war es mir wichtig, auf der Webmaschine Stoffe herzustellen, die nicht wie reproduzierbare Industrieerzeugnisse wirken, sondern Strukturen und Objekte zu schaffen, die einen ganz eigenen Charakter haben. Im Grunde habe ich bisher meist experimentell und prozess-orientiert gearbeitet. Da ich mit Industriemaschinen produziere, lassen sich jedoch durchaus konkrete Produkt-Anwendungen ableiten. Z.B. nahtlos gewebte Kleidungsstücke mit unterschiedlichen Materialeigenschaften im Sinne der Zero-Waste-Philosophie. An bestimmten Stellen sind sie elastischer, als an anderen, an manchen Stellen körpernah und an anderen körperfern. Da der Zuschnitt des Stoffes hierbei entfällt, entsteht auch kein Produktions-Abfall. Allerdings reizt es mich mehr, meinen neu eingeschlagenen Weg weiter zu entwickeln, in dem ich Textilien nicht als Mittel zum Zweck sondern als eigenständiges Material begreife. Mein Hauptinteresse liegt im architektonischen Kontext. Für die Dauerausstellung der Grimmwelt in Kassel, habe ich eine 4 × 24 m große, gewebte textile Raum-Installation gestaltet, die auf der Arbeit von Jacob und Wilhelm Grimm am Deutschen Wörterbuch basiert. Die Installation “Wortarbeit” materialisiert die Idee, dass Sprache lebendig ist und sich stetig verändert. In diesem Sinne sind die mehrlagig gewebten Strukturen dynamisch angelegt. Durch gezielt gestaltete Farb- und Lichteffekte verändern die gewebten Wörter je nach Betrachtungswinkel ihre Lesbarkeit. Mal werden sie sichtbar, mal unsichtbar.
Entstehen Deine Gewebe dann in Handarbeit?
Gewebt werden sie an Maschinen, nicht in Handarbeit. Dennoch gibt es viele Schritte im Gestaltungsprozess, die manuell erfolgen. Ich seziere die Stoffe geradezu, schneide sie gezielt an bestimmten Stellen auf, um zu sehen, wie sich die einzelnen Lagen verhalten und wie sie zusammen spielen. Ich drapiere und fotografiere, um herauszufinden und festzuhalten, welche Formen schon im Material stecken. Schritt für Schritt entwickle ich so ganz bestimmte Materialeigenschaften. Die Web-Maschine wird über einen Code gesteuert, der Zeile für Zeile angibt, welche Kettfäden gehoben werden und welches Schussgarn eingetragen wird. Als wir anfingen, Gewebe in 3D Software zu entwerfen, musste ich die Modelle für den Webstuhl zunächst in einen binären Code übersetzen und dann Pixel für Pixel in die Web-Software übertragen, da eine 3D Software für Webmaschinen damals noch nicht existierte. An diesem Punkt dachte ich mir schon: Wir leben im 21. Jahrhundert, das kann doch irgendwie nicht sein. Die Firma Lindauer Dornier, mit deren Webmaschinen ich arbeite, hat mittlerweile eine neu entwickelte Produktionstechnologie für komplexe 3D-Gewebe, also eine 3D-Webmaschine, auf den Markt gebracht. Die dazugehörige Software wurde von der Krefelder Software-Firma EAT entwickelt, die vor allem für mehrlagige Composite-Strukturen eingesetzt wird.
Das Handwerk des Webens ist eines der ältesten der Welt. Was ist Deiner Meinung nach die Zukunft des Webens?
Im Zuge der Industrialisierung geriet profundes Wissen über mehrlagig gewebte Strukturen aus dem Fokus, da die Stoff-Produktion in großen Mengen in den Vordergrund rückte, und eine beständige, leicht zu produzierende Stoffqualität die Produktivität garantierte. Interessant ist, dass viele Gewebe, die vor der industriellen Revolution entstanden, hoch komplex sind. Die Zukunft des Webens liegt meines Erachtens darin, an dieses Wissen wieder anzuknüpfen, es mit aktuellen Erkenntnissen aus den Naturwissenschaften zu verbinden, und mit Hilfe von zeitgenössischen Technologien, speziell im Bereich der 3D-Visualisierung und – Planung, neue Perspektiven im Bereich der smart materials zu eröffnen. Hierbei interessieren mich vor allem intelligente Strukturen, die ihre Form und Farbe verändern können, ohne dabei über elektrische Spannung gesteuert zu werden. Ein spannender Ausgangspunkt für diese experimentelle Materialforschung sind Strukturfarben, wie sie in der Natur vorkommen, z.B. in irisierenden Blau- und Grüntönen in Schmetterlingsflügeln oder Pfauenfedern. Strukturfarben basieren nicht auf Pigmenten, sondern der Farbeffekt entsteht dadurch, wie das Licht and bestimmten, mehrlagigen, farblosen Strukturen reflektiert und gebrochen wird. Zu diesem Thema bin ich mit einem Material-Forscher in Kontakt, um herauszufinden, wie man diesen Effekt in Gewebe übersetzen kann.
In Deutschland hat man nicht unbedingt den Eindruck, dass sich diese Einsicht in einer ambitionierten Stoffproduktion niederschlägt.
Es gibt bundesweit 16 staatlich geförderte Textil-Forschungsinstitute. Deren Leistung hat dazu geführt, dass sich die deutsche Textil-Industrie von ihren Ursprüngen in der Herstellung von Mode- und Heimtextilien zu einem der internationalen Marktführer für die Produktion und den Export von technischen Textilien entwickelt hat. Es gibt hierzulande ein paar wenige, erstklassige Stoff-Firmen im Bereich Interior, wie z.B. rohi aus Süddeutschland oder Kinnasand im Norden. Wenn es um extravagante Mode-Stoffe geht, ist man allerdings bei den Textil-Produzenten am Comer See in Italien besser aufgehoben. Im internationalen Vergleich wird deutlich, wie progressiv und experimentell das Textil-Design-Studium hier in Berlin ist, und wie aufgeschlossen Forschungsinstitute für die Zusammenarbeit mit Studierenden von Kunsthochschulen sind. Eine sehr positive und spannenden Entwicklung für eine neue Generation von Textil-DesignerInnen! Ich hoffe sehr, dass ich mit meiner Arbeit dazu beitragen kann, neue Perspektiven im Bereich der experimentellen Materialforschung zu eröffnen.